...und plötzlich fand ich mich in einer neuen Whats App Gruppe „JGA“ wieder.
Meine ehemalige Arbeitskollegin, Ex-Fahrgemeinschaftlerin und Freundin Caro wollte
den Bund der Ehe antreten. Ihre beste Freundin setzte sich zur Aufgabe einen geselligen
Tag zu organisieren.
In der digitalen Gruppe ging es kommunikativ drunter und drüber.
Gekonnt hielt ich mich zurück, ein wenig satt vom ständigen
Nachrichtenaufblitzen.
Ich erinnerte mich an die Hochzeit von meinem
Sandkastenkumpanen Michael zurück, bei welchem mir damals die große Ehre zuteil wurde
über das Amt der Trauzeugin zu walten. Ich habe zwar nicht besonders viel
organisiert für den geschlechtergemischten Junggesellenabschied, dennoch war es
ein angenehmer Abend in Leipzig ohne Komasaufen. Dies schützte das Paar ein
Jahr später allerdings auch nicht vor der Scheidung. Die Liebe folgt ihren eigenen Regeln.
Schließlich war es so weit; nach langem hin und her fand man
ein Datum, einige sprangen ab, viele blieben dabei. In
bayerischer Tracht gekleidet, wollte man vormittags per Busfahrt nach Würzburg reisen.
Der Schoppen-Express, eine Partybahn durch Würzburg, sollte das feierwütige
Volk durch das Städtchen führen. Anschließend wollte man am Kilianifest seine
Manieren verlieren und im oktoberfestähnlichen Zelt den Abend ausklingen
lassen.
Seelisch und Moralisch stellte ich mich gezielt auf die
Sache ein. Alles gar nicht mal so mein Ding, aber was tut man nicht für die
soziale Kontaktpflege.
Zuerst musste die erste Hürde überwunden werden. Die
Kleiderfrage stellt mich immer vor die größte Aufgabe. Meine Meinung über
Klamotten und Stil kommt dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ oder
„Kleider machen Leute“ am Ähnlichsten. Mein Schrank ist übersichtlich und
bescheiden. Ein Dirndl ziert schon mal auf gar keinen Fall die Kleiderstange.
Um eine subtile Ausgrenzung zu vermeiden, entschied sich die
Gruppe zum Glück Jeans und Karohemd zu tolerieren.
Als der große Tag anbrach, mit hohen sommerlichen
Temperaturen, entschied ich mich wagemutig anstelle einer Jeans sogar noch für
einen kurzen Jeansrock. Jetzt sollte es losgehen. Für meine Verhältnisse gut in
Schale geschmissen, für manch Andere Underdressed, fuhr ich zum Ort der
Verabredung und staunte nicht schlecht über die bayerischen Fetzen der Anderen.
Ich alter Klamottenrebell ich! Noch mehr staunte ich über die Alkoholvorräte,
welche aus einem großen Eimer kleiner Schnäpse, kistenweise Bier und Kartons
voll Sekt bestanden. Nach kurzer Begrüßung und Vorstellung der anderen wurde
dann direkt mit dem Realitätsraub begonnen. Schluss mit Schnacken, Schnaps in
die Backen. Ich stellte fest, dass es ein harter Tag werden wird. Ein wenig beunruhigte mich die Trinkeslust, aber um ein nützliches
Mitglied der Gesellschaft zu sein muss man sich auch mal anpassen können.
Wir holten die Braut ab und warteten auf den Bus, welcher
uns zum Zielort bringen sollte. Selbstverständlich unter strengster
Geheimhaltung. Es gilt bei Junggesellenverabschiedungen als Hochverrat, den
unter die Haube zu bringenden, über die
Vorhaben zu berichten. Kultur ist schon was wunderschönes Beklopptes.
Sabine, ehemalige sich stolz bekennende Kirmesschreierin,
übernahm die Busführung. Selbstbewusst stimmte sie zahlreiche Lieder an, aus welchen
die Braut erraten sollte wohin die Reise gehen mag. Natürlich wurde in
regelmäßigen Abständen der Schnapseimer hin- und hergereicht. Nach einer
Toilettenpause erreichten wir Würzburg. Der Busfahrer war die
komplette Fahrt sichtlich genervt, ich konnte es ihm wirklich nicht verdenken.
Als Nächstes ging es in den Schoppenexpress. Das Feuerwasser
zeigte so langsam seine Wirkung. Die laute Musik dröhnte in den Boxen, man
wurde durch die City chauffiert und kam sich vor wie auf dem Präsentierteller
närrischer Junggesellinnen. Von den Passanten wurde man von mitleidig bis hin
zu belustigt, begafft. Ich war ein Affe im Käfig! Alles in allem
überhaupt nicht meine Welt und erst recht nicht meine Musik. Meine Devise:
Aushalten und mitspielen!
Schwupps wurde mir im Eifer der Sauferei von der
gegenübersitzenden Kumpanin Katrin erst mal schön eine Ladung Bier über den
Schoß gekippt. Naja, da kam es nun auch nicht mehr drauf an, ich rechnete
bereits mit Allem!
Langsam setzen durch Lärm und Alkohol die ersten
Kopfschmerzen ein, ich entschied mich bei den nächsten Alkoholeskapaden kürzer
zu treten. Bei den anschließenden Schoppenexpresspinkelpausen kamen die Gesellinnen
ins Gespräch mit den Fahrbahnführern. Der ältere Herr bemerkte, dass ich die
Einzige sei, welche keine ordnungsgemäße Tracht trug und stellte kopfschüttelnd fest
„Irgendwer muss ja immer aus der Reihe tanzen“. Hihi, verdrehte Welt!
Der jüngere Herr wurde zum Objekt des Balzverhaltens
einer anwesenden Single-Gesellin erklärt. Alsbald tauschte man Nummern aus. Ich
konnte nur hoffen, dass man mich nicht auch noch zu diesem eventuell später mal
resultierenden Junggesellinnenabschied einladen wird.
Als die Fahrt beendet war, urinierten enthemmte Gesellinnen
wild in den Garten des Schoppenexpressstandortes.
Weiter ging es zum Kilianifest. Mein Schädel fühlte sich nach
Explosion an, der schlechte gesundheitliche Zustand war an meinen feuerroten
Augen sichtlich abzulesen. Dankbar erhielt ich eine Kopfschmerztablette und
stellte den Alkoholkonsum komplett ein. Im Festzelt ließ sich die Meute nieder.
Ich fokussierte mich erstmals auf das Essen und flüchtete in die Welt der
Achtsamkeit. Innerhalb der nächsten Stunden wurde auf den Tischen getanzt,
gesoffen und gesungen was das Zeug hielt. Ich versuchte weitestgehend
mitzumachen und nicht durch lustloses Dasitzen wieder auffällig zu werden. Anpassung
und Schauspiel ist alles im Leben. Die Trauzeugin hatte einige Aufgaben für die
Braut vorbereitet und übte ihr Amt sehr perfektionistisch aus. So kam es nach
geäußerter Kritik einer anderen Gesellin zum kurzzeitig emotionalen Zusammenbruch
mit viel Tränen. Krasser Film, mit allen Facetten des Lebens, dachte ich in
Beobachtung des Geschehens.
Irgendwann schlug unseren Stunden ein Ende und wir machten
uns auf den Heimweg zurück zum Bus. Nun konnte ich wieder in eine Schnapsrunde einsteigen, mein Befinden hatte
sich merklich verbessert. Alle machten auf der Rückfahrt die Augen zu und
verarbeiteten das Erlebnis im REM-Schlaf. Als ich zwischendurch die Augen öffnete,
erblickte ich meine Sitznachbarin Sabine kopfüber nach unten hängend zwischen ihrem Sitz und
dem Vordersitz . Ein Bild für die Götter. Nach Kontrolle ihrer
Atemtätigkeit konnte ich mich beruhigt über diese Situation lustig machen und
weckte sie dennoch um einen blutunterlaufenen Kopf und verknoteten Körper zu ersparen.
Zuhause angekommen und total erleichtert über die lobenswerte
Durchhalteleistung meinerseits konnte ich unbeschadet sagen: Ich war dabei und habe überlebt! Die gefürchtete Katerstimmung blieb aus.
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